„Der Horcher an der Wand …

…hört seine eigene Schand‘“. Das weiß wieder einmal der Volksmund, und er weiß es seit langem. Kommt man als Wanderer oder Wanderin z.B. zur Burg Stolpen in der Sächsischen Schweiz, so findet man gleich am Eingang eine kleine Öffnung, die in einem Rohr mündet, das in ein Zimmer hinter dem Tor der Burg führt. Die Anlage diente dazu, vom Inneren des Schlosses aus die Gespräche der Leute abzuhören, die vor dem Tor standen, um ihren Zehenten abzuliefern. Man kann sich gut ausmalen, dass dem Horcher gerade in einer solchen Situation wenn schon nicht die eigene Schand‘ so doch die seiner Herrschaft zu Ohren kam. Wer zahlt denn gerne den Zehenten und lobt dafür noch den Begünstigten?
Uns lehren das „Hörrohr“ im Burgtor und die zitierte Volksweisheit, dass auch die Stasi – vom Volk unter anderem „Horch und Guck“ genannt – wohl nie ein Alleinstellungsmerkmal besessen hat. Das soll nichts entschuldigen und Einmaligkeiten in ihrer Tätigkeit nicht verdecken. Im Gegenteil. In einer Gesellschaft, von der zumindest ihre Repräsentanten meinten und viele ehrlich hofften, dass mit ihr die Menschen erst in ihre eigentliche, selbst gestaltete Geschichte eingetreten wären, sollte das Horchen an der Wand keine Basis mehr haben. Es war nicht so und deshalb war es auch mit der Gestaltung der eigenen Geschichte durch die Menschen zu Ende, bevor damit richtig begonnen wurde. Weil jedoch gerade bei der Stasi so vieles ans Tageslicht gekommen war, sollte man doch meinen, dass ihr Ende zugleich das Ende der Geschichte des „Horchens an der Wand“ herbeigeführt haben könnte.
Nun, wir wissen es heute, die Chance wurde vertan. Eine abgekürzt so genannte NSA aus den Vereinigten Staaten von Amerika hat wohl eine Menge von dem übertroffen, was sich Mielke und Co. je vorstellen konnten. Zugegeben, niemand weiß, was sie, mit den nämlichen technischen Mitteln ausgestattet wie die NSA, noch so angerichtet hätten. Sie hatten sie aber nicht. Der Versuchung hätten sie vielleicht ebenso wenig widerstanden, wie die Schnüffler aus Übersee. Aber was heißt „Schnüffler“? Das übernimmt heute die Technik. Das macht die Krake nicht sympathischer, offensichtlich aber gefährlicher. Beschäftigte die Stasi noch ein Heer von menschlichen Informanten, so braucht diese die NSA kaum noch. Eine Milliarde elektronisch vermittelte Kommunikationsereignisse pro Tag für allfällige Auswertung zu speichern ist nur mit modernster Technik zu bewältigen. Damit scheidet der Mensch als Risikofaktor weitgehend aus. Ganz freilich nicht. Die Maschine arbeitet ohne Moral und Skrupel. Ein paar verschwiegene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen braucht man noch. Gott sei Dank! Denn so kommt eine andere Weisheit im Volk doch noch zu ihrem Recht. „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen.“ Ein tapferer Mann namens Edward Snowden hat dafür gesorgt. Was an die Sonnen gekommen ist, hat angeblich alles seine rechtsstaatliche Ordnung. Es ist nämlich auch an die Sonnen gekommen, dass die USA für jede Gemeinheit ein zuständiges Gericht haben, das die Dinge genehmigt. Komischerweise entscheidet solches Gericht aber nicht in Dingen, die die USA in ihrem Inneren betreffen. Nein, es entscheidet ausschließlich über den „Rest“ der Welt. Man horcht an der Wand, die die USA von diesem Rest trennt, und hört auf der anderen Seite – ja, nun doch seine eigene Schand‘. Die Welt ist empört oder tut wenigstens so. Die Mächtigen jenseits der Wand müssen nämlich erschrocken feststellen, dass nun auch ihre Horchmaschinen enttarnt sind. Und noch etwas wurde ruchbar. Diese Leute bespitzeln nicht nur die ganze Welt, sondern auch sich selbst gegenseitig. Die Tragödie wird unter der Hand zur Farce. Die „Wertegemeinschaft“ wird zu einer „Netzgemeinschaft neuen Typs“, wohl aber mit alten Zielen. Nicht unser aller Sicherheit ist es, über die konspirativ gewacht wird. Die Macht der Mächtigen soll erhalten werden und einer will über den anderen obsiegen. Menschen aber, die meinen, nichts sei verborgen, kann man mit jeder Lüge hinters Licht führen.

Geschrieben für Links Juli/August 2013, 20.06.2013

Ein Gedanke zu „„Der Horcher an der Wand …

  1. Hans-Georg Stoll

    Guten Abend, zu Wendezeiten trug mal jemand ein Transparent durch Rostock auf dem stand: „Abschaffung aller Geheimdienste in Ost und West!“ Wir wir wissen wurde diese Forderung leider keine Wirklichkeit. Geschnüffelt wird nach wie vor. Zu DDR-Zeiten wußten die wenigen privaten Telefonbesitzer wenigstens oder ahnten wer der Verursacher des Knackens im Hörer war. Heute weiß keiner mehr so recht wer ihn oder sie gerade belauscht. BfV,BND,CIA,NSA oder irgendwelche kommerziellen Datensammler ? Eins haben alle Schnüffler gemeinsam ,egal ob sie MfS,KGB,BfV oder sonstwie heißen oder hießen. Mehr Sicherheit für die Gesellschaft produzieren sie nicht. Eher sorgen sie für Unsicherheit und Mißtrauen. Der Wert von ihnen gesammelter Informationen war in vielen Fällen mehr als zweifelhaft. Die Sammelwut der Stasi oder des KGB hat letztendlich die Herrschaft ihrer sozialistischen Auftraggeber nicht gerettet und die der heutigen Schnüffler schafft für den Normalbürger auch nicht mehr Sicherheit.

    Freundliche Grüße aus Rostock

    Hans-Georg

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