Was wäre wenn … oder die Bedeutungslosigkeit des Ausgangs der 2. Türkenbelagerung von Wien.

Die Älteren werden sie noch kennen, die „Rote Woche“, den Jüngeren hat man vielleicht von ihr erzählt. Es war die Einführungswoche, mit der im September jedes neue Studienjahr in der DDR begann. Nebst der Klärung organisatorischer Fragen diente sie vor allem der (Wieder-)Herstellung ideologischer Klarheit, die während der langen Semesterferien durchaus verloren gegangen sein konnte. Und so hielten Hochschullehrer und -lehrerinnen aller Fachgebiete Vorlesungen zu hochpolitischen Themen. Mir war deshalb z.B. im Jahre 1989 die Ehre zuteil, das damalige zweite Studienjahr von der Sieghaftigkeit des Sozialismus zu überzeugen. Was tun, wenn auf der Straße bereits die ersten Montagsdemos stattgefunden hatten? Nun, ich war im Sommer des gleichen Jahres in dringenden Familienangelegenheiten in Wien, blickte auch wieder vom Kahlenberg auf die Stadt. Dort gibt es eine Gedenktafel, die an die Befreiung des 1683 schon zum zweiten Mal durch die Türken belagerten Wien durch ein über den Kahlenberg kommendes Entsatzheer christlicher Truppen unter dem Polenkönig Sobieski erinnert. Das christliche Europa war für immer gerettet. Dies brachte mich auf die Idee, in der besagten Vorlesung einfach zu behaupten, dass, egal wer 1683 bei Wien schließlich gewonnen hätte, die entscheidende Frage der Geschichte nicht die um die Sieghaftigkeit von Islam oder Christentum sei, sondern immer die, wie die sozialen Fragen gelöst würden. Und auch wenn auf dieser Tafel heute vermerkt wäre, bei Wien hat Kara Mustafa mit seiner Armee Europa für den Islam gerettet, stünde die Frage „Sozialismus ja oder nein“ auf der Tagesordnung.
„Es irrt der Mensch so lang er strebt“ erfahren wir von Goethe in seinem Faust. Vorbei war es noch im gleichen Jahr mit dem Sozialismus, jedenfalls mit jenem, der sich „real existierender“ nannte“. Aber strenger denn je steht die Frage auf der Agenda, wie dieses christliche Europa und zumal das christliche Deutschland mit den gefährlichen Leuten umgehen soll, die dem Islam anhängen. Jedenfalls ist das so, wenn man dem Rauschen im Blätterwald und in den Ätherwellen Glauben schenkt. Ich aber bleibe überzeugungsstarr bei meiner Aussage vor dem zweiten Studienjahr anno 1989. Freilich geht es seit Olims Zeiten heiß her zwischen Christentum und Islam. Da tobten sich im „Heiligen Land“ die Christen mit ihren Kreuzzügen gegen die Muselmanen aus und schnappten sich nur so nebstbei noch unendliche Schätze, sicherten Wege weiter hinein nach Asien. Andererseits eroberten die Mauren beträchtliche Teile Spaniens und Südfrankreichs und setzten sich dort etwa 200 Jahre fest. Vieles zeugt heute noch davon z.B. in Architektur und Mathematik. Und sogar in der deutschen Sprache tummeln sich noch etwa 400 Wörter arabischer Herkunft. Darunter sind nicht nur der „Harem“ oder die „Ziffer“, sondern auch der „Koffer“, der „Alkohol“, der „Admiral“ oder die „Havarie“. Da haben ja die Islamisten noch einen Koffer in Berlin, möchte man kalauern. Nein, die Frage ist ernster! Natürlich darf man die Grausamkeit der Kämpfe nicht vergessen. Die Kämpfe zwischen Mohammedanern und Christen waren jedoch stets die Kämpfe der da oben, der Könige, Kaiser, Päpste, Sultane und Kalifen. Die da unten hatten nichts zu melden. Man hat sie mit der jeweiligen Religion nur bei der Stange und bei den Waffen gehalten – manchmal mehr, manchmal weniger fundamentalistisch. Und deshalb stand für die da unten vielleicht die Frage, wer geht grausamer mit uns um. Keine falsche Frage! Es stand aber für sie tatsächlich nie die Frage, wer vertritt eigentlich unsere Sache. Und so ist das heute noch. Radikalisierte Spielarten des Islam mögen derzeit die gefährlichsten Gegner europäisch-amerikanisch organisierter kapitalistischer Anmaßung um Weltherrschaft sein. Solche Radikalität in religiöses Gewand gekleidet jagt auch dem christlichen „Kleinen Mann“ und der christlichen „Kleinen Frau“ Angst ein. Vor lauter Angst vergessen sie dann den Skandal um Hartz IV. Vor lauter Angst vergessen sie, wer in Afghanistan Eindringling ist. Vor lauter Angst glauben sie, ihre Toten in Afghanistan dienten der Zurückdrängung des Terrorismus. Und sie sehen nicht, dass dieser erst durch fremde Heere in Afghanistan gezüchtet wird. Seit dem 19. Jahrhundert stehen moderne europäische Armeen in Afghanistan. Aber nicht um das Christentum zu verteidigen, sondern um die Wege zu den Reichtümern Asiens zu sichern. Und wären wir alle Mohammedaner und die Taliban Christen, dann ginge es eben am Hindukusch um die Rettung des islamischen Abendlandes und seiner Freiheit die Welt auszubeuten.

Geschrieben für „Sachsens Linke“ 18.10.2010

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