Vom Reden, Gerede, Gestammel und Schreien

Gibt es denn darüber was zu sagen? Der Volksmund weiß, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Der Volksmund weiß freilich auch, dass jemand „Blech“ daherreden kann. Also was denn? Silber oder Blech? Bestimmte Leute (deren „Markennamen“ werde ich nicht durch Wiederholung propagieren), bestimmte Leute wollten in Dresden zunächst gar nicht reden. Sie wollten sich mit ihrem Schweigen vergolden als „patriotische Europäer“ und Goldmedaillengewinner werden im Rennen gegen die Islamisierung Europas. Das wurde jedoch nicht so richtig, weshalb sie dann doch redeten – und jetzt war es Blech. Blech kann aber gefährlich werden. Es hat scharfe Kanten, die verletzen. Blech wurde in der vorelektronischen Zeit auch für Theaterdonner verwendet. Es zeigte das Blech überlaut ein Unwetter an, das nur vorgetäuscht ist. Das Unwetter soll die Islamisierung sein. Wer glaubt denn so etwas? In der österreichischen Stadt Graz werden z.B. von den Menschen, die dort wohnen, im Alltag ungefähr 150 Sprachen gesprochen. Man redet einfach, wie einem der Schnabel gewachsen ist. In der Regel kommt man aber mit Deutsch oder dem, was das Steirervolk manchmal so dafür hält, am besten durch das Leben und durch das Reden. Die Stadt ist bunt, geprägt durch Menschen aus aller Herren Länder, kenntlich an ihrer Hautfarbe, an ihrer Kleidung und auch an ihrem Reden. Es gibt moslemische Bethäuser. Eine Moschee soll gebaut werden; und dennoch wird man am Sonntag durch das Läuten der christlichen Kirchenglocken geweckt, nicht durch den Muezzin. Man grüßt sich christlich mit „Grüß Gott!“. Gerade die Christinnen und Christen denken sich aber selten etwas dabei. Für sie ist es einfach landesüblich. Es hält zusammen und grenzt vom „Guten Tach“ der Piefke ab.
„Es hält zusammen und grenzt ab“? Das machen Grüße überhaupt. Auch wenn sie nur so daher geredet werden. Der Gruß teilt nichts mit. Er stellt eine soziale Beziehung her, bekräftigt und stabilisiert sie. Reden ist eben oft mehr, als etwas wörtlich gemeint mitzuteilen. Wenn da nun welche in Dresden oder anderswo schreien, „wir sind das Volk“, verkünden sie der Welt am wenigsten eine Tatsache. Nein, sie versuchen damit, sich selbst als genau dieses Volk, das sie nicht sind, zu konstituieren und andere vom Volk auszuschließen. Solches muss man nicht vor sich selbst begründen. Das gemeinsame Schreien reicht. Das ist Handeln mit sozialen Folgen. Es gibt ein gutes Gefühl, ein Gefühl des Erfolges, der Übereinstimmung, der Überlegenheit. Deshalb schreien anderswo welche „Toooor!“ Das teilt auch nicht wirklich mit, dass jetzt ein Tor gefallen ist – hat das doch jede und jeder gesehen, ob Freund oder Gegner. Eine gemeinsame Gefühlswelt kommt vielmehr zum Ausbruch. Man gehört zusammen! „Wir sind das Volk!“ Das war tatsächlich einmal eine wörtlich zu nehmende Mitteilung an jene, die behaupteten, „alles mit dem Volk, alles für das Volk und alles durch das Volk“ zu machen. Doch sie hatten das Volk längst enttäuscht, weil sie sich selbstgefällig über dieses erhoben hatten. In Dresden ist der Ruf nur ein diffuser Ausdruck von amorphem Frust, den man oft gar nicht in Worte fassen kann. Wir sind wir und die anderen sind die Anderen! Wir fühlen uns schlecht, warum auch immer, aber uns gehört das Land, und es sind zu viele da, die nicht dazu gehören, bloß unser Geld kosten und unser Brot essen.
Gerede, Geschrei und Gestammel haben ihr Ziel erreicht, zumindest bei „denen da oben“. Die beeilen sich, die unliebsamen Fremden als Fremde zu behandeln. Freilich wollen sie auch reden, reden mit denen, die das eigentliche Reden so lange verweigerten. „Der Redner regiert den Haufen“, sagte schon im 16. Jahrhundert der Magdeburger Pastor Georg Rollenhagen. Die Machtfrage ist gestellt! Welcher Redner regiert den Haufen? Das vorbestrafte Hitlerdouble, für den Menschen „Viehzeug“, „Gelumpe“ oder „Dreckspack“ sein können, oder der gesittete Ministerpräsident? Es besteht der Verdacht, dass auch Letzterer mit seinem Reden nicht mehr bezweckt, als die Leute auf seine Seite zu ziehen, ohne ihre eigentlichen Probleme wirklich zur Kenntnis zu nehmen oder gar lösen zu wollen. Man nennt das „schwindelig reden“. Der falsche Feind des „Haufens“ kommt da sehr gelegen.

(geschrieben für Links Februar 2014, 25.01.2015)

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