Von den Feiglingen in den Laufgittern

Unlängst habe ich im Theater einen Monolog gehört, der in seiner Bildhaftigkeit sehr alltäglich war, in seinem Gehalt aber auf unglaublich eindringliche Weise eine Wahrheit verkündete. Das Ganze fand nicht auf der großen Bühne statt. Es waren Schauspielstudierende, deutschsprachige und holländische, die ein Stück selbst entwickelt hatten und darin und damit ihrem Verhältnis zu sich, ihrem Beruf und zur Welt, in der sie leben – leben müssen – nachgingen. Revolution war ein großes Thema. Einer der Schauspieler stellte fest: Wir leben auf der reichen Seite der Welt und wir leben wie Kinder im Laufgitter, versehen mit reichlich und gutem Spielzeug. Genau deshalb sollten wir aber Revolution machen. In einem revolutionären Akt sollten wir unsere Eltern zwingen, uns aus dem Laufgitter herauszuheben. Wir wollen doch wissen, wie die Welt draußen ist. Ja, wir wollen und brauchen eine Revolution, war zunächst die Quintessenz; eine Revolution gegen jene, die uns ins im Laufgitter in ungewollter Sicherheit und ungeliebtem Wohlbefinden halten. Doch dann kam plötzlich die Angst vor der eigenen Courage. Es kam die Angst auf, was passieren könnte, wenn alle aus den vielen Laufgittern in dieser großen Welt herauskämen. Man würde sich begegnen. Will man das? Was würde einem dann widerfahren? Würde uns was streitig gemacht? Wer weiß das schon? Da bleiben wir doch lieber drin in unseren Laufgittern. Wir spielen doch eigentlich ganz gern mit all unserem schönen Spielzeug. Deshalb – so der Schluss – wird es wohl auf unserer, der schönen, der reichen Seite der Welt zu keiner Revolution kommen. Die Dialektik von zorniger Kritik eines jungen Mannes und bereits an der Realität emporgewachsener Resignation liegt auf der Hand.
Offensichtlich sind in unserem Teil der Welt zu viele der Meinung, sie könnten mehr verlieren als nur ihre Ketten. Die Sicherheit der „Laufgitter“ ist verlockender als eine Welterfahrung, von der man nicht weiß, was sie bringt. Rundum bewegt sich aber doch etwas. Es findet Geschichte statt und zu viele haben Angst davor. Einmischung erscheint gefährlich, sich einschließen wähnt man für sicherer. Geschichte soll draußen stattfinden. Nur, das wird nicht funktionieren und es funktioniert schon lange nicht. Feiglinge sind am Werk; Feiglinge, und wenn sie noch so großmäulig auftreten. Sie schließen sich ein in den Laufgittern der Nationen. Sie reduzieren sich die Welt auf das Spielzeug ihrer Kultur. Sie liefern sich dem Schutz von „Eltern“ aus, die sie in Wirklichkeit ebenso feige gefangen halten. Der österreichische Literat und Essayist Robert Menasse hat recht, wenn er sagt: „Alle politischen Herausforderungen, die wir heute demokratisch gestalten müssen, sind längst transnational: die Finanzströme, die Wertschöpfungsketten, die Bedingungen des Welthandels, die ökologischen Probleme, die Migrationsbewegungen, die modernen Kommunikationsmittel mit ihren Gefahren wie Überwachung und Datenmissbrauch, die Friedenssicherung, und ewig so weiter. Es gibt nichts mehr, das innerhalb der Grenzen eines Nationalstaates geregelt oder an den Grenzen abgehalten werden kann“ (Kurier, 22.05.2016, S. 9). Wir beschwören die globalisierte, die eine Welt und zugleich versucht man uns weis zu machen, dass man sich hinter neuen Stacheldrähten verschanzen könnte, um unausweichlicher Veränderung entgehen und längst unbrauchbar Gewordenes bewahren zu können. Die Gefahr ist groß und zum Teil auch schon Wirklichkeit, dass aus stacheldrahtbewehrten Laufgittern der Feiglinge Schützengräben werden und aus den Spielzeugen Kanonen. War es denn nicht zu oft schon so, dass die Verteidigung der Idylle des Gewohnten gegenüber der Geschichte dazu führte, dass schließlich kein Stein auf dem anderen blieb? Was nützt es, wild um sich zu schlagen, wenn das Laufgitter fällt. Das kann keine linke Lösung sein. Wir müssen die Herausforderungen annehmen. Akzeptieren wir die Notwendigkeit von Veränderungen in globalem Maßstab. Machen wir unsere Geschichte selbst – mutig, friedlich und mit allen Menschen, in dieser einen Welt!

(Geschrieben für Links, Juni 2016, 25.05.2016)

Ein Gedanke zu „Von den Feiglingen in den Laufgittern

  1. D-ROLF

    Die Grenzen gehen -schon seit Marx , nicht zwischen Nord u Süd, sondern zwischen Oben u. Unten -reisst sie ein…Bildet Banden !

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