Sind die jeck?

Eigentlich wollte ich eine ganz andere Kolumne schreiben – mit einer anderen Überschrift. Schließlich haben wir ein – ja was denn? „Jubiläumsjahr“ kann man schlecht sagen, wenn vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg und vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Nennen wir es „Gedenkjahr“. Das wäre ein gutes Thema, ein ernstes; Anlass zu Mahnung, Grund zur Warnung. Ich will nicht ungehörig abschweifen, aber Karneval war mir gleich danach eingefallen. Zum Lachen war mir dabei nicht zumute. Denn der Gedanke kam mir nicht wegen der saisonalen Nähe des närrischen Treibens. Er kam mir vielmehr ebenfalls im Zusammenhang mit dem Krieg. Wir haben schließlich auch ein einschlägiges Gedenkjahr hinter uns – 200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig. Dieser Jahrestag wurde mit karnevaleskem Mummenschanz begangen. Das bis dato schlimmste Gemetzel wurde gefeiert von kostümierten Narren, die in voller Montur mit der Straßenbahn in Leipzig zur Schlacht fuhren und wieder zurück. Da entfuhr es mir zum ersten Mal, „sind die jeck?“ Der Krach ihrer Kanonen schallte bis in die Stadt. Den Zuschauern vor Ort wurden sicherheitshalber Ohrenstöpsel verkauft – Bratwurst und Bier natürlich auch. Das wird dieses Jahr nicht so sein. Ypern und Langemarck würden sich gegen ein solch gespenstisches Fest wohl wehren. Gasmasken taugen nicht zum Maskenball. Giftgasgranaten lassen sich nicht durch harmlose Platzpatronen imitieren. Die Bombardierung Leipzigs ist schwer nachzustellen.
In Magdeburg marschierten allerdings die Erben der Nazis, die uns das alles eingebrockt hatten. In Dresden wollen sie sich angeblich dieses Jahr mit einer Kundgebung vor der Frauenkirche „begnügen“. „Heilige Maria, Mutter Gottes, das hast Du nicht verdient“, weshalb es zu verhindern sein wird.
Überhaupt! Es gibt doch noch ganz anderes zu feiern: Olympische Winterspiele in Sotschi zum Beispiel. Als Kind und Jugendlicher waren Olympiaden für mich besondere Ereignisse. Ich glaubte an Leistung und fairen Wettkampf, sah mich im Traum selbst die Pisten herunterrasen und auf dem Spielfeld Heldentaten vollbringen. Heute interessiert mich das weit weniger. Für die Leistung sind Technik und Pharmazie meist mehr verantwortlich als hartes Training. Fairer Wettkampf findet am Ende vielleicht noch statt. Am Anfang stehen aber Geld, Gier nach nationalem Prestige, das Marketing für die bessere Technik. Die Rezepte der Dopingmixturen kann man öffentlich noch nicht anbieten. Der interne Handel floriert. Die Gladiatoren (und Gladiatorinnen) lassen das Publikum toben und beseelen das Geschäft. Das Spektakel findet im Gegensatz zu früher nun schon alle zwei Jahre statt; im Wechsel von Sommer und Winter. In Sotschi ist beides zugleich. Nur Frieden ist nicht! Im alten Olympia der Griechen war der für die Dauer der Spiele vereinbart. Wen schert das heute noch? Die einen gönnen den anderen, den Russen, den ganzen Rummel und das Geschäft nicht. Das war schon einmal so. Die Rote Armee war damals in Afghanistan einmarschiert, was den Vorwand für Boykott lieferte. Heute bomben dort die USA und ihre Verbündeten. Das hindert diese aber nicht, mit ihren Fingern scheinheilig in der Wunde blödsinniger russischer Homophobie zu wühlen, um die „Spiele“ wenigstens madig zu machen. Denkt man freilich an die Spitzelmaschinerie der USA oder vergegenwärtigt sich, wie sie zum Tode Verurteilte qualvoll exekutieren, dann dürften dort nicht einmal mehr drittklassige Turniere im Fingerhakeln stattfinden.
Ernster ist es allerdings mit dem angedrohten Terror. Die Russen begegnen ihm mit gespielter Gelassenheit. Den Amis kommt er offenbar zurecht. Nachrichtenagenturen meldeten Mitte Januar, sie wollten mit Kriegsschiffen vor den Toren Sotschis auftauchen. Natürlich aus Sorge um ihre vor Ort anwesenden Bürgerinnen und Bürger. So nahe an Russland heran wären US-amerikanische Flottenteile allerdings schon lange nicht gekommen. Das könnte leicht aus dem Ruder laufen. Sind die jeck?

(Geschrieben 21.01.2014 für Links – Doppelheft Januar/Februar 2014)

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