In memoriam Werner Bramke

Werner Bramke, Doktor, Doktor sc., Professor,
geboren am 8. Juli 1938 in Cottbus,
1956 Abitur, 1956/57 Praktikumsjahr als Unterstufenlehrer,
1957 bis 1962 Studium der Geschichte und Germanistik an der Pädagogischen Hochschule Potsdam,
1962 bis 1969 Lehrer für Geschichte, Deutsch, Staatsbürgerkunde und Latein,
1969 Promotion mit einer Arbeit über Kriegervereine in der Weimarer Republik,
1969 bis 1972 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Militärhistorischen Institut Potsdam“,
seit 1972 an der der Leipziger Universität, dazumals Karl-Marx-Universität,
1976 Habilitation bzw. Dr. sc. mit einer Arbeit zu „Traditionsbild und Traditionspflege in der KPD“,
1979 Berufung zum Professor für „Neueste Geschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung“ an der Karl-Marx-Universität,
1992 bis 2003 Professor für „Neue und Neueste Geschichte“ an der Universität Leipzig in der Rechtsstellung eines Professors alten Rechts,
1989 Gastprofessur in Bielefeld, 1992 Gastprofessur in Chapell Hill (USA).
Von 1956 bis 1990 war Werner Bramke Mitglied der SED;
1976/77 Sekretär der Grundorganisation der SED an der Sektion Geschichte der hiesigen Universität und von 1987 bis 1990 Direktor dieser Sektion.

Von 1994 bis 2003 war Werner Bramke Mitglied des Sächsischen Landtages und dessen PDS-Fraktion sowie Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaften, Hochschulen, Kultur und Medien.

Und nun endgültig und unwiderruflich das letzte Datum: Werner Bramke, gestorben am 24. Januar 2011.

Das sind die nüchternen Daten über wichtige Stationen im Leben von Werner Bramke – beileibe nicht alle. Sie sind an vielen Stellen nachzulesen, in Lexika, in wissenschaftlichen Arbeiten auch das letzte Datum schon – im Internet. Das ganze Leben, das Werner Bramke gelebt hat, geben sie nur sehr unzulänglich wieder: Privates gleich gar nicht. Davon nimmt jeder und jede seinen Teil unwiderbringlich ins Grab mit und davon hinterlässt jeder und jede sehr Unterschiedliches bei den Hinterbliebenen. Das mögen sich im Andenken an Werner Bramke alle selbst bewahren. Und einer seiner Freunde wird nach mir dazu sprechen.

Ich selbst begegnete ihm sehr bald nach meiner Ankunft an der Karl-Marx-Universität 1973 in gemeinsamer Anstrengung in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Deutsch und Geschichte. Wir waren uns einig, dass kritischer Umgang mit dem Lehrstoff die wichtigste Grundlage für dessen nachhaltige Aneignung und für lebenslange Weiterentwicklung im Fach war. In politischen Dingen war mir Werner Bramke wichtiger Gesprächspartner, Helfer in kritischen Situationen und Vorbild in so gelassen wie selbstbewusst vorgetragener Sachlichkeit.

Die Nachricht vom Tod Werner Bramkes war eine sehr schmerzliche Nachricht, eine Nachricht, die uns überraschte, denn wir wähnten ihn alle noch mit weitgehend ungebrochener Schaffenskraft tätig. Noch einen Tag nach seinem Tod, der zu diesem Zeitpunkt noch niemandem bekannt war, überlegten wir z.B. in kleinem Kreis in der Rosa-Luxemburg-Stiftung bei der Vorbereitung eines Kolloquiums zu Ehren Walter Markovs in dessen Geburtsstadt in Graz, ob man Werner Bramke das Hauptreferat anvertrauen sollte. Werner Bramke war noch eingebunden in mehrere Projekt und hatte sich selbst noch sehr viel vorgenommen. Unter anderem eine Biographie von Walter Markov. Am 17. Februar sollte er bei einer Gedenkveranstaltung der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag zu Erich Zeigner sprechen. Es wurde nichts mehr daraus. Zwar wussten manche, dass auch bei Werner Bramke das Alter an die Türe klopfte und ihn körperlich zu schwächen begann, aber zum Tod schien es noch ein weiter Weg zu sein. Es kam anders und es kam schnell und es ist nun an uns, Werner Bramke auf seinem endgültig letzten Weg zu begleiten und dies zugleich als Versprechen zu nehmen, dass seine Vorhaben weitergedacht und – wo möglich – auch zu Ende geführt werden.

Werner Bramke ist über militärgeschichtliche Fragen zu Problemen neuerer und neuester Geschichte gestoßen. Die Novemberrevolution, die Weimarer Zeit, Faschismus und unterschiedlichster Widerstand dagegen fesselten sein wissenschaftliches Interesse. Es waren einmal die großen „Köpfe“ dieser Zeit, denen er als Historiker sozusagen auf die Schliche ihres Handelns kommen wollte. Es war aber bald auch mehr: Solche Leute handelten nicht einfach aus sich heraus, so originell und einmalig sie gewesen sein mögen. Sie waren eingebunden in ihre Herkunftsmilieus, von denen sie geprägt wurden, sie waren eingebunden in soziale Gruppierungen sowie zeitgenössische Denkrichtungen und -strömungen. Aus ihnen heraus entwickelten sie ihre eigene Profilierung und Einmaligkeit. Georg Schumann, Friedrich Olbricht, Carl Goerdeler und nicht zuletzt Erich Zeigner gerieten in das Zentrum des Interesses von Werner Bramke.

Werner Bramke lag nichts ferner, als platte Parallelen zu ziehen zwischen historischen Ereignissen und Persönlichkeiten und der Gegenwart. Nichts mochte er weniger als ein triviales Lernen aus der Geschichte, das diese Parallelen voraussetzte. Nichts verabscheute er mehr, als das Einschmuggeln opportuner politischer Urteile in die Geschichtsschreibung. Sehr wohl war er sich aber der Lernpotentiale von Geschichte bewusst, die in produktivem Vergleich, in der Hervorhebung der Einmaligkeit wie der Verallgemeinerung wirksam werden konnten. In diesem Sinne verkörperte er stets eine untrennbare Einheit von Wissenschaftler, Lehrer und politischem Menschen bis hin zum Politiker. Als solcher war er nie bereit zu simplem agitatorischem Verrat an der Wissenschaft. Flache Apologie wird man bei ihm nie und nirgends finden. Kompromisse schon.

Werner Bramke suchte immer wieder Antwort auf die Frage, was unter demokratischen Verhältnissen möglich sein könnte, wenn es politisch nur gewollt und vernünftiger Weise auch zugelassen würde. Mit dem Vorsatz, solchen Entwicklungen zum Durchbruch verhelfen zu wollen, kam Werner Bramke 1994 als Parteiloser in die PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag. Er quittierte 2003 schließlich über die weitgehende Aussichtslosigkeit, dieses Versuchs, was ihn von einer „Krise der Demokratie“ sprechen ließ. Dazwischen lagen jedoch Jahre angestrengter Arbeit und ruheloser Versuche, sich mit seinen Vorstellungen durchzusetzen

Erfolglos war er dabei ganz und gar nicht, auch wenn er schließlich resignierte. Seine Beiträge qualifizierten die Arbeit des Parlaments und der Fraktion in vielerlei Hinsicht. Zumindest gelang es ihm hin und wieder Nachdenklichkeit wach zu rufen, wenigstens „schlechtes Gewissen“ entstehen zu lassen. Und es sei auch heute noch als sein Vermächtnis den Fraktionen der LINKEn auf allen Ebenen und der LINKEn überhaupt ins Stammbuch geschrieben, dass stets eine „kaum überbrückbare Diskrepanz zwischen dem verfolgten Ziel der sozialen Gerechtigkeit und dem Kampf um individuelle Vorteile in der eigenen Partei“ drohe (ND, 22.01.2007, S. 5), was sie als Alternative zur herrschenden Politik immer wieder in Frage stelle.

Der „Manchester Guardian“ schrieb einst, so lese ich bei Werner Bramke, vom „Ludergeruch der politischen Rachsucht“, den ein Prozess ausstrahlte, in den man Erich Zeigner mit Falschaussagen hineinzog und der ihm drei Jahre Haft einbrachte. Demokratie erstickt solcher Geruch, lerne ich von Werner Bramke. Sie braucht vielmehr Offenheit, Sachlichkeit, Wahrhaftigkeit in der Auseinandersetzung, vor allem aber Respekt voreinander. Werner Bramke hat all dies im aktuellen politischen Raum wohl praktiziert, aber nicht ausreichend wiedergefunden. Gerade deshalb blieb er bei differenzierten Urteilen.

Besonders litt der renommierte Forscher und Hochschullehrer an der plötzlichen, sachlich nicht zu rechtfertigenden Distanz einiger Fachkollegen, nachdem er für die PDS in den Sächsischen Landtag eingezogen war. Die hatten wohl Angst um ihre eigene Reputation, wenn sie sich weiter auf Werner Bramke einließen. Ein ärmliches akademisches Politikum. Hatte doch Werner Bramke sehr viel mehr auf deren Kooperativität und wissenschaftliche Unterstützung bei der Lösung komplizierter politischer Sachverhalte gehofft. Ein solcher komplizierter Sachverhalt lag z.B. der Gedenkstättenpolitik des Freistaates zu Grunde. Faschismus und Stalinismus waren auseinander zu halten, auch wenn persönliche Schicksale vergleichbar sind. Das hatte gerade Werner Bramke in sachlicher wissenschaftlicher Analyse nachgewiesen. „CDU und Staatsregierung gingen jedoch andere Wege“, musste Werner Bramke feststellen. Aus einem zweifellos vorhandenen antitotalitären Konsens heraus bewegten sie sich zur Fragwürdigkeit einseitigen Respekts vor den Opfern des Stalinismus, was die Verbände der Opfer des Faschismus vor allem bezüglich des Gedenkens in Torgau als unerträgliche Zumutung empfanden und die Mitarbeit bei der Gestaltung sächsischer Gedenkstättenpolitik für lange Zeit aufgeben ließ. Den kompetenten Zeithistoriker und Vorsitzenden des Ausschusses für Wissenschaft, Hochschulen, Kultur und Medien, belastete dies in seinem an der Sache ausgerichteten Gestaltungswillen, aber auch in seiner Absicht zu moderieren besonders.

Im Ausschussvorsitz und als Hochschulpolitiker erarbeitete sich Werner Bramke unbestrittenen und ehrlichen Respekt bei allen Beteiligten an der Konzeption der weiteren Entwicklung der sächsischen Universitäten und Hochschulen. Er plädierte und kämpfte für die Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre, für eine soziale Hochschule der Chancengleichheit, für gleichberechtigte demokratische Mitbestimmung aller Gruppen an der Universität und gegen ein nur fachspezifisch verengtes Studium. Dies sind heute, angesichts neoliberalen Krämertums fast ausschließlich unerfüllte Blütenträume. Ohne Werner Bramkes unzählige Gespräche mit den verschiedensten Beteiligten wäre aber damals noch manches schlimmer gekommen und heute vielleicht schon in Vergessenheit geraten.

Waren für den Zeithistoriker Werner Bramke Wissenschaftler und engagierter politischer Mensch im weiten Sinn des „zoon politicon“ immer eine Einheit, so prägte ihn dies besonders nachdrücklich als Hochschullehrer. Erkenntnis drängte zur Lehre und zum Erkenntnis fördernden Austausch zwischen Lehrendem und Lernenden. Lehre und Gespräch wurden zu Bildungserlebnissen für alle Beteiligten. Werner Bramke realisierte die Einheit von Forschung und Lehre in eindrucksvoller Weise. Er setzte Vertrauen in junge Menschen und sie vertrauten ihm. Immer wieder betonte und belegte er in seinen Arbeiten den Gewinn aus studentischer Forschung und dem Austausch darüber. Ein durchaus nicht üblicher akademischer Brauch, dem in heutiger verschulter Lehre außerdem noch mehr und mehr die Grundlagen entzogen werden. Der Wunsch der Studierenden, 1990 an Werner Bramke herangetragen, sich der Wahl zum Rektor zu stellen, erklärt sich so. Werner Bramkes Ablehnung zeugt von unambitioniertem Gespür für das politisch Angemessene.

Werner Bramke hatte ein beinahe sakrales Verhältnis zur Wissenschaft. Er ordnete ihr sein Leben unter. Man kann fast sagen in einem „Zölibat“, das zwar sicher und durch den Sohn nachweislich belegt kein keusches war, aber ansonsten dennoch streng eingehaltenen wurde, das kaum eine andere „Liebe“ als die Wissenschaft in Gleichwertigkeit duldete. Das schloss Tragisches ein. Isolation war es freilich nicht. Es war – sicher ungewöhnliche – Konzentration auf eine selbst gestellte Aufgabe. Er hielt sich in solcher Weise manches vom Leibe, stand in solcher Art aber auch mitten Leben und holte das Leben in die Wissenschaft. Wissenschaft war ihm Politik – man kann es nicht oft genug sagen – und er schuf so für sich eine besondere Version der Forderung Leibnizens nach „theoria cum praxi“. Wir wissen, dass Werner Bramke gerade aus diesem Grund in ein weit verzweigtes, mal dichter, mal weniger dicht gesponnenes Netz von Beziehungen zu den unterschiedlichsten Menschen eingebunden war. Und obwohl ich dies wusste, überraschte mich dennoch die große Zahl betroffener Reaktionen auf seinen Tod, die alleine bei mir einlangten. Sie zeugten von einer Tiefe vieler Beziehungen, die alles andere aufkommen lassen, als den Gedanken, dass Werner Bramke im Elfenbeinturm der Wissenschaften gelebt hätte. Weder seine manchmal vielleicht als schrullig wahrgenommene Individualität, noch sein so einsames Sterben können dieser Feststellung etwas anhaben.

Der Tod Werner Bramkes hat eine große Lücke gerissen. Und so lange sich noch irgend jemand seiner erinnert, wird diese Lücke vorhanden sein, gespürt werden. Unsere Erinnerung an ihn ist aber zugleich die einzige Möglichkeit, die Schmerzen der Lücke zu heilen und sie so weit zu schließen, als wir dies alle gemeinsam zustande bringen können. Erinnerung lässt Werner Bramke weiterleben. Nicht nur als Ikone, sondern als tägliche Aufforderung zu ehrlichem Denken und Handeln.

Ehre seinem Andenken!

24.02.2011

2 Gedanken zu „In memoriam Werner Bramke

  1. annett doerfel

    Danke für diese Ehrung. Er hat es verdient und wird immer einen Platz in den Herzen derer haben, die wissen, dass er sich nichts mehr gewünscht hat, als Mensch sein zu dürfen- besonders in den letzten Jahren. Jeder, der ihn kannte wird seine eigene Erinnerung festhalten- mag es der offiziellen Wahrheit entsprechen- oder nicht. Er fehlt- richtig begreifen, dass er nicht mehr da ist…- kaum möglich. Nur wer vergessen wird – ist tot.
    Danke.
    Annett Dörfel

  2. A. Willnow, Lwipzig

    Danke für das Andenken. Prof. Bramke hat es sich verdient, dass wir uns an ihn so erinnern.

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