Wir leben in „einer internetbasierten Informationsgesellschaft“ erfahre ich jüngst und rechtzeitig zum Programmkonvent der Partei DIE LINKE in einem Papier führender Genossinnen und Genossen. Das stimmt und so manche Information, die man heute bekommt, ist wirklich ihrer Verbreitung im Netz wert. Zum Stichwort „briefing“ gegoogelt (ich hoffe, jede/r weiß, was das ist) erfahre ich z.B. auf der Seite „contentmanager.de“: „Dafür gibt es leider keinen passenden deutschen Begriff. ,Briefing‘ ist Englisch und bedeutet ,Anweisung‘ oder ,Lagebesprechung‘.“ Na holla, entfährt es mir da, die Bedeutungsangabe ist doch deutsch und entspricht ziemlich genau dem, was ich bisher bei „briefings“ erlebt habe. Aber Fremdwörter – und offensichtlich auch die Erklärungen dazu – sind eben Glückssache, wie der Volksmund schon lange weiß. Manchmal ist es auch Glück, wenn jemand für eine Sache ein Fremdwort hat. Dann kann man den größten Blödsinn vielleicht noch als etwas ganz Besonderes verkaufen. Dazu braucht man nicht einmal immer das Internet. Ein gutes altes Printmedium („Zeitung“) tut es da auch. In einem österreichischen Blatt las ich kürzlich z.B. von einer ganz neuen Erfindung, die Strom spart, weil „Die Natur ersetzt praktisch die Aggregate“, und das Ganze nennt man „Free Cooling“. Die Zeitung übersetzt es dann doch noch auf Deutsch: „Freiluft Kühlung“ ist gemeint, worunter z.B. Raumkühlung durch Fenster Öffnen oder Getränkekühlung im Schatten oder in der kalten Jahreszeit auf dem Balkon gemeint ist. „Cool“ -nicht wahr?
Bevor mir aber jetzt die falschen Leute applau…, nein, Beifall klatschen, muss ich gleich etwas gerade rücken. Ich bin kein Fremdwortjäger, wie es sie zu allen Zeiten in der Geschichte der deutschen Sprache gab. Manchmal gaben sie sich sogar blumige Namen wie „Palmenorden“ oder „Fruchtbringende Gesellschaft“ im 17. Jahrhundert. Meist produzierten sie im Überschwang Verzichtbares, wie z.B. die Ersetzung des aus dem Französischen kommenden Wortes „Nase“ durch „Gesichtserker“. Das Sprachvolk macht sich über solche Schöpfung zu Recht lustig und verwendet sie nur scherzhaft-ironisch. Kein Stück nötiger wäre übrigens die von heutigen Sprachreinigern vorgeschlagene Ersetzung von „e-mail“ durch „Netzpost“. Unsere Sprache ist voll von Wörtern fremder Herkunft. Das ist ein lebendiges Indiz für die vielfältigen und nützlichen Kontakte zu Fremdem auf dem Wege der Sprachgemeinschaft durch die Geschichte. Meist kamen die fremden Wörter mit neuen Sachen. Die Römer z.B. brachten den Met-saufenden Germanen den Wein und deshalb ist die gesamte Winzerterminologie lateinischen Ursprungs. Ähnlich verhält es sich mit der Mauer („murus“) und dem Ziegel („tegula“), die uns die Römer brachten, und die sich neben die germanische Wand (kommt vom Winden der Äste um Stecken zum Schutz vor dem Wetter) setzten. Mit der Zeit schleift sich das Fremde der Wörter ab und sie werden integriert.
Das heißt aber nicht, dass es nicht auch unzählige vermeidbare Fremdwörter gäbe. Französisch zu sprechen, oder zumindest die deutsche Sprache mangels echter Sprachkenntnisse so sehr mit französischen Worten zu spicken, dass es wenigstens gebildet klang, war im 17. und auch noch im 18. Jahrhundert in unseren Breiten durchaus gang und gäbe. Die Marotte entsprang der damaligen französischen Macht, so wie die Flut von Anglizismen heutigen US-amerikanischen Vormachtstellungen entspricht. Blamieren kann man sich aber heute wie damals. Sicher ist es normal, dass mit den neuen Dingen, also z.B. mit der digitalen Informationstechnik, auch ihre Benennungen mitkommen. Die französische Wunderlichkeit, das alles übersetzen zu wollen, um die eigene Sprache nicht zu überfremden, ist aber wohl genau so übertrieben, wie deutschsprachiger Eifer, möglichst alles aus dem Englischen zu übernehmen. Kann sein es ist aber auch nur Faulheit oder gar Verwandtschaft zur französisch artikulierten Geltungssucht des 17. und 18. Jahrhunderts. Es ist wahrscheinlich alles des Möglichen. Und alles das meine ich auch im eingangs erwähnten Papier zum Programmkonvent zu finden. Der Titel, „It‘s the Internet, stupid“, mag noch als Provokation durchgehen. Manche Wörter entsprechen der unproblematischen Übernahme der Benennung der Sachen in ihrem Herkunftsland. Manches wird freundlicher Weise übersetzt wie „Total-buy-out“ („Abkaufen aller Urheberrechte“) oder „smart-grid“ („intelligente Stromnetze“). Vieles bleibt aber für die naiven LeserInnen unaufgelöster Fachjargon („Kommodifizierung“, „Mash-ups“, „Sweat Shops“, „Notice and Take-down-Prozeduren“). Zu viel ist aber auch modischer Schnick-Schnack, der nicht danach fragt, ob man verstanden wird. Da wird schon mal doppelt gemoppelt, wenn man von „Ängsten und Phobien“ spricht. Da sind Eigenschaften „genuin“ Die Gesellschaft ist „segmentiert“ und Angebote werden „aggregiert“. Man denkt: Geht‘s nicht auch einfacher? Es geht um‘s Programm – dumm, nicht wahr!
Geschrieben für „Sachsens Linke“ 17.11.2010