„Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen …“

… brennt – wenigstens im Lied – in unsern Herzen eine Sehnsucht, „die lässt uns nimmermehr in Ruh.“ So mag es vielleicht zwei Bergkameraden – korrekt: einem Bergkameraden und einer Bergkameradin – gegangen sein, die am 10. Juni diesen Jahres die Gipfel der Zugspitze erreicht haben. Der eine kam von Tiroler Seite aus, die andere nahm ihren Ausgangspunkt in Bayern. Von beiden Seiten führen ja Seilbahnen in die schwindelnden Höhen. Die Grenze zwischen Deutschland und Österreich verläuft über den Westgipfel. Ein wahrhaft symbolischer Ort für ein Treffen zwischen Österreichs Rechtspopulisten Heinz Christian Strache von der FPÖ und Deutschlands Frontfrau der AfD, Frauke Petry. Der Berg war schon oft Ziel von Leuten, die noch höher hinaus wollten. Es landeten Flugzeuge unterhalb des Gipfels, es flogen Segelflieger von dort ab. Seiltänzer balancierten zwischen dem Ost- und Westgipfel. Andere fuhren die Strecke auf dem Hochseil mit dem Motorrad. Für Nazis war der Berg Symbol Großdeutschlands und einer für sie unnatürlichen Grenze. Sie machten 1933 ihr Symbol, das Hakenkreuz, vom Gipfel weithin sichtbar ins Land Tirol und ins Land Bayern. Und jetzt Strache und Petry. Was machen die da oben? Zwei Leute, die die alten Grenzen in Europa lieber wieder aufrichten und undurchlässig machen wollen, überwinden eine Grenze von jeweils ihrer Seite kommend. Von dpa erfahren wir, „dass Strache und Petry einen Blick hinab auf die deutsche und österreichische Politik werfen wollen.“ Deutsch und österreichisch also streng getrennt. Wer es glaubt, wird selig. Die Reaktionen bei facebook und auf den Seiten vor allem der österreichischen Zeitungen im Netz waren eindeutig. Warum trifft man sich nicht gleich am Obersalzberg, wurde gefragt. War die Wolfsschanze zu weit und geschlossen? Man hörte wohl die Nachtigall der großdeutschen Träume schon wieder trapsen. Kein Wunder: „Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind deutsch. Die überwiegende Mehrheit der Österreicher ist Teil der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft.“ So steht es im FPÖ-Parteiprogramm von 2015. Das wollte und konnte man auf der Zugspitze natürlich nicht gleich in Stein meißeln, weshalb man sich zunächst mit der Vereinbarung begnügte, die Kooperation von FPÖ und AfD auf kommunaler Ebene zur vertiefen. Aber es geht perspektivisch um mehr. Es geht um ein – wie sie sagen – „föderales Europa“. Gemeinsame Arbeitsgruppen sollen Themen wie nationale Identität, die (zu beschränkende) Zukunft des Euro und die „moderne Völkerwanderung“, wie Strache die Flüchtlingsbewegungen nennt, behandelt werden. Es geht um die Zusammenarbeit rechter und rechtspopulistischer Parteien in Europa. Am Donnerstag nach dem „Gipfeltreffen“ war Frau Le Pen aus Frankreich Gast bei Herrn Strache; jetzt nicht so hoch droben, aber dafür schon vor Wien. „Unsere Grenzen sind geschlossen. Wir müssen unsere eigenen Grenzen wieder unter Kontrolle bringen“, war dort der O-Ton der Französin. Die Sache ist gefährlich. Der Brexit ist ein Teil davon. Das eingangs zitierte Lied hat eine vierte Strophe: „Beim Alpenglühen heimwärts wir ziehen, Berge, die Leuchten so rot. Wir kommen wieder, denn wir sind Brüder, Brüder auf Leben und Tod.“ Eventuell rotes Leuchten der Zugspitze nach dem Besuch von Petry und Strache war nicht das linke Rot. Es könnte sehr viel eher das heraufdämmernde kriegerische Rot eines erneut zersplitterten „Europa der Vaterländer“ sein. Denn machen wir uns nichts vor, Nationalisten werden nur so lange Geschwister sein, bis sie den Boden für wiederum blutigen Streit um nationale Vorherrschaft und Hegemonie bereitet haben. Hallo Linke! Unser muss – um die Zukunft Europas willen – die dritte Strophe des Lieds sein: „Fels ist bezwungen, frei atmen Lungen, ach, wie schön ist die Welt. Handschlag ein Lächeln, Mühen vergessen, alles auf’s Beste bestellt.“ Es bleibt nicht mehr viel Zeit dafür.

(Geschrieben am 29.06.2016 für DISPUT, August 2016)

Ein Gedanke zu „„Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen …“

  1. klaus horn

    „Es bleibt nicht mehr viel Zeit dafür“. Wieviel ?
    Einstweilen steht die Linke vor der Wahl zwischen Sahra und Bedeutungslosigkeit.

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