Im Sächsischen Landtag gab es zu meiner Zeit einen rheinländischen Katholiken in führender Mitarbeiterposition. Er wusste um meine katholische Kindheit und frühe Jugend und begrüßte mich mit eben rheinländischem Scherz und Lächeln bei Begegnungen auf den Fluren mit einem „Gelobt sei Jesus Christus“. Mein promptes „In Ewigkeit Amen“ besiegelte Wohlwollen und freundliche Zuwendung im Spaß, wenn auch nicht mehr im Glauben. Ähnlich und doch auch deutlich anders verhielt es sich mit einem Abgeordneten der CDU, der „Christlich Demokratischen Union.“ Er war auch Katholik und er war antisozialistischer Eiferer. Seine Redebeiträge machten das sehr deutlich. Nichts von Feindesliebe (Lukas, 6-27ff). Es sei ihm zugestanden, auch wenn ich weiß, dass er in der DDR beruflich einige beneidenswerte Vorteile genoss. Diese waren aber nicht politisch erschlichen, sondern durch spezifisches Können begründet. Er wusste auch um meine katholische Prägung und wollte diese eines Tages endgültig überprüfen. Deshalb fragte er mich, ob ich denn das „Confiteor“ des sogenannten Stufengebets am Beginn der katholischen Messfeier wirklich beherrsche. Nun, wenigstens der Anfang war mir noch geläufig und die Prüfung deshalb ohne Schwierigkeiten zu bestehen. Es war ein langes lateinisch zu sprechendes Schuldbekenntnis vor dem allmächtigen Gott, der heiligen Jungfrau und allen Aposteln und Heiligen.
Und dann kam mir ein Gedanke: Was wäre denn, wenn sich zwei muslimische Abgeordnete – der Islam gehört zu Deutschland – auf den Fluren eines deutschen Parlaments mit „Allahu Akbar“ begegnet wären oder sich ebendort ganz öffentlich die Kenntnis von Suren des Korans oder islamischen Gebeten abgeprüft hätten? Diesen Zuruf unter Muslim*innen nennt man „Takbir“ und er ist dem „Gelobt sei Jesus Christus“ in seiner Identifikations- und Bekennerfunktion durchaus vergleichbar.
Bleiben wir noch in den späten 1990er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Muslim*inne in deutschen Parlamenten hätten auch schon damals nicht mehr allzu viel Aufsehen erregt, die Begrüßung mit „Allahu Akbar“ jedoch sehr wohl. Heute ginge das aber überhaupt nicht mehr. Leider haben Terroristen, Amokläufer, Mörder diesen muslimischen Zuruf missbräuchlich zu einem Schlachtruf bei ihren Taten gemacht. Zum Schaden für alle bekennenden Muslim*innen! „Allahu Akbar“ ist in Europa für sie praktisch unbrauchbar geworden, um sich in ihrem Glauben zu erkennen zu geben. Es ist hat sich in den Unheil verkündenden Ruf des sogenannten „politischen Islam“ verwandelt. Die gesellschaftlichen Folgen sind fatal: Was auch immer „politischer Islam“ wirklich sein mag, er ist irgendwie zum einzigen Topf geworden, in den man den Islam als Ganzes wirft. Die Muslima Fereshda Ludin schreibt am 18.11.2020 im digitalen „MIGAZIN“: „Aus persönlicher Erfahrung und Auseinandersetzung mit Politik, Medien und vielen Akteur:innen unserer Gesellschaft weiß ich, dass es ein Teufelskreis ist, aus dem vor allem ,Muslime‘, die sich zum Islam öffentlich bekennen, nicht herauskommen. Ich empfinde es vor allem für die junge Generation als sehr belastend, vor allem im Kontext mit Schule, Ausbildung und im Bildungssektor allgemein.“ Damit bekämpft man nicht Terrorismus und Missbrauch des Islam, sondern schließt sich dem Missbrauch schließlich selbst an und verunglimpft eine Religionsgemeinschaft total und undifferenziert. Das bereitet Distanz zur restlichen Gesellschaft Raum, verunsichert vor allem jene, die mit dem Islam in diese Gesellschaft hineinwachsen sollen und verschafft jenen Imamen Gehör, die das für eine Radikalisierung ihrer Glaubensbrüder und -schwestern ausnutzen wollen.
Die beunruhigten, aber doch so „friedfertigen“ Vertreter eines „politischen Christentums“ sind jedoch auf der sicheren Seite. Sie haben das „C“ im Parteinamen, können aber Flüchtlinge im Mittelmeer absaufen lassen. Milde darf ihnen fremd sein, weil doch sonst noch mehr kommen. Soziales Gewissen kann zu Gefahr werden, weil es in seiner Mildtätigkeit ausgenutzt werden könnte. Kriege sind notwendig, weil nur die damit zu verteidigenden „Menschenrechte“ weitere Herrschaft und Profite sichern.
Nun, ich will auch nicht ungerecht sein, aber sind wir doch wenigstens ein wenig gerechter! Wie sagte Jesus? „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“
Und – hoffen wir auf ein Weiterleben von „LINKS“ nach dem Tod.
(Geschrieben für die letzte Ausgabe ever von LINKS, 19. November 2020)