Oktoberrevolution in Wien oder Das Ende der Gemütlichkeit

Wenn es nach der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) geht, so sollte am 11. Oktober mit dem Wahlsieg dieser Partei in der österreichischen Hauptstadt wieder eine Oktoberrevolution stattfinden. Ein Ende August präsentiertes Plakat der Partei für diese Wahl kündigt dies jedenfalls an. In genialer Vorahnung seiner historischen Mission spielte das Orchester der Salzburger Festspiele provokativ die Internationale, als es im Sommer H.C. Strache, den Obmann der FPÖ, im Publikum entdeckt hatte. Der künstlerische Weitblick wurde als Skandal missverstanden.

Worum geht es wirklich? Am 11. Oktober wählt Wien einen neuen Gemeinderat. Es ist allgemein bekannt, wenn Wahlen Revolutionen hervorbringen könnten, wären sie längst verboten. Und so geht es auch in Wien nicht wirklich um eine Revolution, die die gesellschaftlichen Verhältnisse umstürzen könnte, sondern nur um billige, freilich auch gefährliche Rache. Das Plakat verkündet nämlich neben der Revolution zugleich auch eine „gute“ Gelegenheit: „Wien tauscht Häupl gegen H.C. Strache und nimmt für Rot-Grün süße Rache.“ Genial blöder geht es nimmer! Genau das birgt freilich die reale Gefahr in sich, dass sich für die FPÖ der erhoffte Erfolg einstellen könnte. Es sagt das etwas über die Klientel und den Politikstil der FPÖ aus. Offensichtlich gibt es nicht wenige, die genau solches anspricht.

Der Sozialdemokrat Michael Häupl ist seit 21 Jahren Bürgermeister von Wien. Zuletzt regierte er in einer Koalition mit den Grünen. Diese Koalition hat für die einen viel Fragwürdiges, für andere jedoch auch viel Mutiges auf den Weg gebracht. Wien wurde z.B. fahrradfreundlicher und fußgängergerechter. Die öffentlichen Verkehrsmittel, vor allem die U-Bahn, wurden und werden weiter ausgebaut. Nicht jedem Autofahrer, nicht jeder Autofahrerin gefällt das. Ampelmännchen wurden zum Teil durch Homo-Ampelpärchen ersetzt. Nicht alle Wienerinnen und Wiener fanden das angemessen oder wenigstens spaßig. Das alles ist aber nicht das wirkliche Problem und brächte für sich allein genommen der FPÖ kaum den Bürgermeisterposten für ihren Obmann.

Im Wahlkampf geht es deutlich um etwas anderes. Die Freiheitliche Partei ist – gelinde gesagt – eine „rechtspopulistische“ Partei mit jahrzehntelanger Erfahrung, in vielem ein Vorbild für Nachahmerinnen in anderen Ländern, nicht zuletzt auch für die AfD. Die FPÖ gibt sich demokratisch gezügelt rechts, ihre Kader kommen jedoch aus radikaleren Kreisen, meist aus den Netzwerken der deutsch-nationalen Burschenschaften. „Unser Herz schlägt rot-weiß-rot“ steht auf Transparenten und Rednerpulten. Auf dem Burschenschaftsball tanzt und säuft man jedoch ausschließlich unter den Farben Schwarz-Rot-Gold. H.C. Strache entblödete sich nicht, nach kräftigen Protesten gegen eben diese Burschenschaftsbälle sich und seine Parteigänger als die „neuen Juden“ zu erhöhen und bemitleiden.

Die Partei positioniert sich gegen die große Mehrheit der Asylbewerberinnen und -bewerber mit dem bekannten Topos vom „Wirtschaftsflüchtling“. Man fordert bedingungslose Intergration derer, die Bleiberecht erhalten, schürt Konflikte in den großen kommunalen Wohnsiedlungen. „Christliches Abendland“ ist eine Leitidee. Moscheen und islamischen Bethäusern ist der Kampf angesagt. Nächstenliebe bezieht sich bevorzugt auf Österreicherinnen und Österreicher. Die sind dem Strache, wie er öffentlich bekennt, zuerst (und wohl auch allein) am nächsten. EU und Euro werden radikal-kritisch betrachtet. Alle anderen Parteien werden als zu weich, zu liberal, korrupt, nur auf Eigennutz bedacht oder arglistig kommunistisch gebrandmarkt. Ausländerinnen und Ausländer sind dem ständig wiederholten Verdacht ausgesetzt, prinzipiell kriminell und kulturell zersetzend zu sein. Ein Wahlplakat für die Bürgermeisterwahl in Innsbruck hatte es übertrieben: „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ musste nach einem harschen Protest der marokkanischen Botschaft wieder von den Plakatwänden genommen werden. „Mehr Mut zu unserem Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut nicht gut“ blieb bei der letzten Wiener Gemeinderatswahl hängen. Wer hätte dagegen protestieren wollen?

„Zu viel Fremdes tut nicht gut“ ist bei den Wiener Wahlen dieses Jahr erst recht und noch radikaler eingeführt das eigentliche Thema. Es wird auch schon das Thema bei den Landtagswahlen am 27. September in Oberösterreich sein. Es war das beherrschende Thema bei den Landtagswahlen im Burgenland und in der Steiermark am 31. Mai. „Fremd im eigenen Land“ war als bereits bedrohliche Tatsache in der Steiermark auf Großplakaten verkündet. „Grenzkontrollen sofort“ forderte man just im Burgenland, das an Ungarn grenzt, das doch 1989 für die Öffnung des „Eisernen Vorhanges“ so gelobt wurde. Ungarn wird auch jetzt gelobt und nicht nur von der FPÖ, sondern zum Beispiel auch von der Österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Ungarn wird gelobt und es wird ihm mit Personal geholfen für die Errichtung eines Grenzzaunes zu Serbien zur Abwehr von Flüchtlingen. Ja, es ist das gleiche Ungarn, aus dem 1989 die Nachrichten von der rührigen Hilfe für die ausreisewilligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger kamen und die Bilder von den Zelten und Notunterkünften, von den Verpflegungspunkten und den kilometerlangen Schlangen geparkter und verlassener Trabants und Wartburgs. Und es sind die gleichen Parteien, die damals die Freizügigkeit als höchstes Gut der Freiheit beschworen haben, die heute das „Grenzen dicht“ zu ihrer Losung machen.

Drei Parteien waren und sind bei den Landtagswahlen (Wien ist Stadt und Bundesland zugleich) Kopf an Kopf voran: Die Sozialdemokraten (SPÖ), die konservative, CDU-ähnliche Österreichische Volkspartei (ÖVP) und eben die FPÖ. Für kleinere Parteien ist da kaum noch Raum. Die Grünen sind noch dabei. Den Platz als Partner in der oberösterreichischen Koalition mit der ÖVP werden sie aber wahrscheinlich verlieren. Was in Wien schließlich passiert, ist offen. In der Steiermark konnte sich auch die KPÖ mit zwei Landtagssitzen behaupten – eine Ausnahme. In Wien tritt jetzt eine „Türkenpartei“ an, von der man nicht genau weiß, was sie kann. Auf jeden Fall wird sie der SPÖ Stimmen kosten. Die KPÖ bewirbt sich hier in einem Bündnis mit anderen linken Gruppierungen unter dem Namen „Wien Anders“ (ANDAS). Das so autoritär wie planlos geführte „Team-Stronach“ des austro-kanadischen Milliardärs Frank Stronach zerlegt sich gerade selbst und gibt sich der Lächerlichkeit preis. Die liberal-demokratischen, pragmatisch ausgerichteten NEOS haben nach Anfangserfolgen große Schwierigkeiten, Profil zu entwickeln. Sie werden deutlich unter den nötigen 4 % gehandelt.

Die Wahlerfolge der FPÖ in der Steiermark und im Burgenland brachten bereits merkwürdige Koalitionen und Bündniskonstellationen. Im Burgenland trat die SPÖ als stärkste Partei mit der FPÖ in eine Koalition ein und kündigte damit die bisherige Zusammenarbeit mit der ÖVP auf. Entsprechend ist die Politik des sozialdemokratischen Landeshauptmannes. Er stellt sich offen auf die Positionen der FPÖ in der Asyl-und Flüchtlingsfrage und damit auch offen gegen programmatische Positionen seiner Partei. Jungsozialistinnen und -sozialisten halten dagegen. Die „Alten“ in der Partei tolerieren es, inklusive Werner Feymann, in Personalunion Bundeskanzler und Parteivorsitzender. In der Steiermark konnte die drohende Koalition intriganter, wortbrüchiger ÖVPler mit der FPÖ nur verhindert werden, weil die Wahlsiegerin SPÖ auf den ihr zustehenden Landeshauptmann verzichtete. Landeshauptmann wurde deshalb Hermann Schützenhöfer von der zweitplatzierten ÖVP. Für die SPÖ blieb nur der Stellvertreterposten für den „newcomer“ Michael Schickhofer.

Die Meinungsforscher bieten für die Wahl in Wien divergierende Vorhersagen. Die FPÖ wird aber mit realen Chancen für den ersten Platz gehandelt. Käme das so, braucht H.C. Strache zum Regieren einen Koalitionspartner. Die ÖVP wäre dazu bereit, ob es mit ihr zur Mehrheit reicht, ist aber ungewiss. SPÖ und Grüne verkünden derzeit noch, dass sie zu keinem Bündnis mit der FPÖ zur Verfügung stünden. Mal sehen? Ein Erfolg der FPÖ in Wien wäre aber noch mehr als der Sieg in einem Bundesland. Er wäre ein Signal für eine Wende nach rechts in ganz Österreich. Die Stimmung dafür ist durch die Asyl- und Flüchtlingsproblematik mehr als angeheizt. Wer meint, man könnte die Flüchtlingsströme eindämmen, indem man für Schutzsuchende Ankunft und Aufenthalt im Lande so mühselig und quälend unbequem wie nur möglich macht, wird gerade auf diese Art dieses Ziel nie und nimmer erreichen. Die Menschen kommen dennoch. Das Elend bei ihnen zu Hause ist zu groß. Wohl aber verschärft man mit dieser Methode sichtbar Probleme mit den Flüchtlingen, verunsichert die Bevölkerung weit über Gebühr und bläst Wind in die Segel derer, die damit inhumane, fremdenfeindliche, nationalistische Fahrt aufnehmen wollen. Das Ende wäre gar nicht gemütlich – nicht für Österreich und nicht für Europa!

(Geschrieben für „LEIPZIGS NEUE“, 12. September 2015, S. 12/13)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert