Hatschi Bratschi

„Was kommt dort durch die Luft geflogen und immer näher hergezogen? Es ist, man sieht es deutlich schon, ein großer roter Luftballon. Drin sitzt, die Pfeife in der Hand, ein Zauberer aus dem Morgenland. Der böse Hatschi Bratschi heißt er, und kleine Kinder fängt und beißt er. O Fritzchen, Fritzchen, lauf davon, sonst kommst du in den Luftballon!“ So beginnt eine gereimte Geschichte, die mich, wie viele andere Generationen seit 1904, in meiner Kindheit begleitete und vor dem Bösen warnte, das zuerst aus dem „Türkenland“ oder später „Morgenland“, weil „Türkenland“ zu konkret war, kommt. Erschienen ist das Buch in verschiedenen Verlagen, zuletzt 1968. Der Autor heißt Franz Karl Ginzkey, ein Mensch sehr wechselhaften rechten Lebens, bis dass dieses 1871 begonnene 1963 der Tod in Salzburg gnädig beendete. Sein Leben kann man googeln und wird erstaunt sein, wie man sich über alle Wellen eines k. und k. Patriotismus, eines Austrofaschismus, der Sympathien für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, schließlich auch für den Nationalsozialismus in einen beschaulichen, rechtem Denken frönenden Lebensabend im schönen Salzburg retten konnte. Bleiben wir aber bei Hatschi Bratschi. Dieser Zauberer fängt das ungehorsame, trotz Verbots auf eine Wiese gelaufene Fritzchen. Als sich der Zauberer später aus dem Korb beugt, um ein weiteres Kind zu fangen, nutzt Fritzchen die Gunst der Stunde, gibt ihm einen Schubs, Hatschi Bratschi fällt in einen Brunnen und kommt nicht wieder. Fritzchen ist nun allein dem Flug des Ballons ausgesetzt, der zielsicher das Morgenland ansteuert. Es warten Abenteuer auf der Fahrt, zum Beispiel ein Gewitter oder die Hexe Kniesebein, die sich Fritzchens bemächtigen will, schließlich aber abstürzt, in einen Schornstein fällt und verbrennt. Gefährlich sind auch Menschenfresser, die, eine Menschenkette eine Palme hinauf bildend, den Ballon entern wollen und erst im letzten Moment ihr Ziel verfehlen und ins Meer stürzen. Die „Menschenfresser“ waren später Gegenstand von Kritik und wurden durch Affen ersetzt. Man könnte natürlich auch sagen, sie wurden mit Affen gleichgesetzt und deshalb mit solchen austauschbar, was Rassismus versteckte, allerdings nicht wirklich überwand. Fritzchen aber erreicht nach all den Abenteuern das Schloss von Hatschi Bratschi. Die Diener Hatschi Bratschis anerkennen Fritzchen als den neuen Herren und unterwerfen sich ihm. Dieser befreit alle gefangen Kinder, die glücklich nach Hause laufen. Fritzchen war der Held, die Mutter schloss ihn küssend in ihre Arme, der Vater wartete aber mit dem Rohstock auf ihn wegen des ungehorsamen Beginns.
Das Buch wurde mir nicht gefährlich. Ich weiß um seine unverhohlenen rassistischen und zumindest faschistoiden pädagogischen Ladungen. Ich bin ihnen nicht verfallen. Andere, die Kinder ihren Eltern entführen, brauchen das Buch wiederum gar nicht. Ziemlich sicher hat es Donald Trump nicht gelesen und dennoch hat er jüngst dafür gesorgt, dass mir die Geschichte wieder in den Sinn kam. Er wurde mir in empörter Phantasie zum Hatschi Bratschi. Dieser Hatschi Bratschi Trump hat keinen Luftballon, Er fängt aber ebenso Kinder. Er fängt sie an der Grenze zwischen den USA und Mexico. Wenn dort in Not verzweifelte Eltern mit ihren Kindern diese Grenze überschritten, dann kamen seine Schärgen, stellten die Grenzverletzer, trennten Eltern und Kinder und sperrten die Erwachsenen ein. Die Kinder weinten herzzerreißend, wurden aber gnadenlos in Camps verfrachtet, wo ihr verzweifeltes Weinen und Schreien von zynischen Bewachern als „Konzert“ bezeichnet wurde, dem nur der „Dirigent“ fehle. Menschen in aller Welt wandten sich gegen diese Grausamkeiten, selbst die Gattin von Hatschi Bratschi Trump und seine Tochter. Dieser sehr abendländische Hatschi Bartschi meint aber, dass die Schuld bei den Eltern läge. Sie hätten ja nur in Mexico bleiben müssen, um nicht von ihren Kindern getrennt zu werden. Hätte, hätte Fahrradkette – Fritzchen hätte ja auch nicht auf die Wiese laufen sollen. Gehorsam statt Spieltrieb, Unterwerfung, statt Kind-Sein hätten ihn gerettet? Nein, auch das hilft nichts! Die Welt ist voller Hatschi Bratschis. Ihre kleinen Opfer werden ausgebeutet, liegen zerschossen und ersoffen herum, bekommen, manchmal zwangsweise neue Eltern oder werden selbst bewaffnet und zum Kriegführen gezwungen …

(Geschrieben für Links, Juli/August 2018, 20.06.2018)

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