Mi-mi-mau-mau

Die Überschrift hat nichts mit Katzen zu tun und auch nichts mit einem vor allem bei Kindern beliebten Kartenspiel. Es ist der Titel einer Geschichte, die ich fast schon vergessen hatte. Früher musste ich sie meiner kleinen Schwester oft vor dem Schlafengehen vorlesen: Ein geiziger Müller verweigert einer alten Frau, die um ein Stück Brot bittet, die milde Gabe. Die alte Frau trifft im Wald einen Müllerburschen, der eine Anstellung sucht. Sie schickt ihn in die Mühle, nicht ohne den Burschen vor dem Geiz und der Hartherzigkeit der Müllersfamilie zu warnen. Auf dem Weg dorthin soll der junge Mann einen schwarzen Stein, den er in einem Bach finden wird, einstecken und nachts in der Küche in den Ofen legen. Von der Müllerin wird der potentielle Geselle zunächst abgewiesen. Der Junge lässt sich aber nicht einschüchtern, setzt sich dreist mit an den Tisch, nimmt sich, was man ihm eigentlich verweigert, und legt sich schließlich satt und müde auf die Ofenbank, um zu schlafen. Müller und Müllerin werden seiner nicht Herr. Mitten in der Nacht steht der Bursche auf, legt den schwarzen Stein in den Ofen, wie ihn die alte Frau geheißen. Morgens bläst die Müllerin das Feuer im Ofen an und – sagt plötzlich immer wieder mi-mi-mau-mau. Den Müller ereilt das gleiche Schicksal, ebenso die Tochter. Schließlich spricht das ganze herbeigeeilte Dorf nur mehr mit mi-mi-mau-mau, nachdem die Menschen ins Feuer geblasen hatten. Der schließlich vom Schlaf erwachte Müllerbursche erlöst die Verzauberten erst, als sie alle versprechen, in Zukunft ihren Geiz aufzugeben und Menschen, die um Hilfe bitten, diese auch zu gewähren. Der Bursche aber erhält die ersehnte Arbeit in der Mühle. Alle sind glücklich und zufrieden.
Wir Kinder lachten vor allem über das Mi-mi-mau-mau! Ich konnte es meiner kleinen Schwester nicht oft genug wiederholen. Heute gefällt mir anderes und kommt mir bei der Geschichte auch anderes in den Sinn, als nur die Freude über den bestraften Geiz; die natürlich auch. Der Müllerbursche hatte doch ganz frech die Eigentumsfrage gestellt. Was ihm wegen fehlenden Mitleids – man kann auch sagen, wegen fehlender Solidarität – verweigert wurde, nahm er sich einfach. Er zeigte Witz und Stärke, wo ihm Kälte statt Mitmenschlichkeit begegnete. Recht gut und schon sehr schön. Die Sache geht aber weiter. Der junge Müllergeselle klagte beim ganzen Dorf soziales Verhalten ein. Er fordert sozusagen einen Sozialstaat. Der Zauberstein enthüllte jedoch, dass Müllersleute und Dorfbewohner in ihrem Geiz dem nichts außer ein sinnloses Mi-mi-mau-mau entgegensetzten. Nun stelle doch heute jemand mal Hartz IV als ungerecht in Frage. Es prangere jemand die wachsende Schere zwischen Reich und Arm an. Verlange doch wer Steuergerechtigkeit, verlange wer Vermögenssteuer, ordentliche Erbschaftssteuer. Zeige wer mit dem Finger auf das Elend in der Welt und fordere Solidarität der reichen Länder mit den Millionen Flüchtlingen in der Welt. Weise jemand auf die allgemeine Demontage des Sozialstaates hin. Die Antworten derer, die helfen könnten, die die Verhältnisse ändern könnten, klingen dann aber wie mi-mi-mau-mau. Das ist schon lange die weitschweifige, aber nichtssagende Sprache der Talk-Runden. Das ist die Sprache der verantwortlichen Politikerinnen und Politkern, der Wirtschaftsweisen, der Wirtschaftsgrößen. Synonyme für mi-mi-mau-mau sind heute „Sachzwänge“, „Zeiten knapper Kassen“, „Ausgewogenheit“, „Sozialneid“, „Standort“, „muss sich rechnen“, „Leitkultur“, „Wirtschaftsflüchtling“ und so weiter und so fort. Und je größer das Versagen, desto häufiger und lauter hört man dieses Mi-mi-mau-mau. Am Abend und in der Nacht nach den Landtagswahlen vom 13. März diesen Jahres wurden wir mit mi-mi-mau-mau überschüttet. Plötzlich wussten alle, man muss sich mit Rassismus bis weit in die Mitte der Gesellschaft, mit rechtem Gedankengut, autoritären Politikvorstellungen, mit zu geringer Bildung vieler Menschen, aber auch mit ihren Sorgen und Nöten auseinandersetzen. Es klang dennoch alles immer noch wie mi-mi-mau-mau – und bald danach erst recht. Niemand war davon frei. Der Müllerbursche erzwang soziales Verhalten in der Gesellschaft und befreite sie so vom Mi-mi-mau-mau. Tun wir doch endlich desgleichen! Machen wir Schluss mit dem Zauber!

(geschrieben 15.03.2016 für Links, April 2016)

Ein Gedanke zu „Mi-mi-mau-mau

  1. Fränkle, Rainer

    Ja,machen wir Schluss mit dem Zauber, stellen wir die Eigentumsfrage, aber wo bleibt die Linke, siehe Sachsen-Anhalt, nur den Frauenversteher machen, das reicht nicht,raus auf die Straße, gegen Rechts, für die Überwindung einer überholten
    Gesellschaftsordnung.

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