Horch mal, wer da spricht!

Vor kurzem wurde in der Sendung TV-Total versucht (sicher mit guter Absicht) nachzuweisen, dass Menschen mit Migrationshintergrund oft besser Deutsch können als solche ohne. Ein blondes Mädchen wurde vorgeführt, weil es Fragen zur Konjugation von Verben falsch beantwortete, während ein Migrantenkind alles richtig löste. Das Mädchen war der Lächerlichkeit preisgegeben. Konnte es wirklich nicht Deutsch? Die Antwort ist einfach. Sie konnte natürlich Deutsch. Sie sprach Deutsch. Sie wusste nur nicht so viel über die deutsche Sprache, über deren Grammatik wie der Junge. Schlimm?
Eine Pegida-Demonstrantin wurde vom Sender „eins plus“ gefragt, was sich eigentlich ändern sollte in Deutschland.1 Nach einer kurzen Pause der Verlegenheit kam die zögerliche Antwort, „na alles!“ Die Nachfrage, was denn „alles“ sei, wurde wieder sichtlich verlegen mit, „na die Politik“, beantwortet. Und dann kam der abweisende Zusatz: „Ich bin nicht so gut im Reden, ich kann das nicht so sagen …“
Wer jetzt meint, Dummheit, fehlende Bildung wären Erklärungen einer Peinlichkeit, sollte vorsichtig sein. Der bekannte Soziologe Oskar Negt hat bereits vor fast 50 Jahren in einer Arbeit zur Theorie der Arbeiterbildung2 darauf hingewiesen, dass von einfachen Menschen oft eine Sprache gefordert wird, deren Mittel nicht von Ihresgleichen und für sie gemacht sind. Es sind folglich die Mittel zu strukturierter Erfassung und ebensolcher Darstellung der Welt nicht für sie und von Ihresgleichen gemacht. Solche Menschen weichen deshalb oft auf so genannte „Topoi“ aus. Es steht dann hinter einem Wort ein ganzes Universum von Lebenserfahrung. Mit Topoi hat die Frau geantwortet: „Alles“, „die Politik“. Zwei Wörter nur! Sie stehen jedoch für ihr ganzes „Wissen“ von der Gesellschaft und für alle ihre Problemen mit und in dieser. Sie will gehört werden und ruft deshalb, „Wir sind das Volk!“. Sie versteht jene nicht, die ihr die Welt erklären wollen, und ruft deshalb „Lügenpresse!“ Es rufen viele. Das schweißt zusammen im Vertrauen auf die gleichen Erfahrungen. Die Masse schreit sich etwas von der Seele, aber redet nicht wirklich über dieses „Etwas“ – jedenfalls nicht so, dass es jene, die nicht „ihresgleichen“ sind, verstehen. Nicht Dumme kollidieren hier mit Gebildeten. Nein, zwei soziale Welten treffen aufeinander. Eine, in der, institutionell gefördert, Einsichten in Bildung verwandelt und in Sprache ausgedrückt werden können, und die andere, in der mit diesen Einsichten und deren Sprache wenig anzufangen ist, Selbstreflektion und ihr adäquate Sprachlichkeit mangels unterstützender Ressourcen jedoch nur bedingt zustande gebracht werden. Die Menschen dieser Welt reden nicht über sich, sondern es bricht aus ihnen heraus. Das ist gefährlich, gebiert Arroganz auf der anderen Seite! Zu solchen Menschen kann man auch sprechen, in der Absicht, gar nicht verstanden zu werden. Die Medien wurden nicht müde, anlässlich des Todes von Richard von Weizsäcker aus seiner Rede vom 8. Mai 1985 zu zitieren. Wohlgesetzte, zweifellos bewundernswürdige Worte vom sich nicht aufhetzen lassen gegen andere und vom Kriegsende als einem Tag der Befreiung. Worte für die Bildungsbürger. Die unterscheiden freilich zwischen Moralisieren beim Festakt und dem Durchsetzen von Interessen. Man zitiert, man lobt – und geht zur Tagesordnung über. Auf dieser stehen Geschichten vom „bösen Russen“, vom „faulen Griechen“, vom „Wirtschaftsflüchtling“, „Sozialschmarotzer“, „kriminellen Ausländer“. Die Geschichten sind einfach formuliert , gaukeln soziale Erfahrung vor. Die Folge sind Topoi der Unmenschlichkeit, Topoi der Angst, geboren aus einem wenig geordneten Blick auf die Welt.

(geschrieben für DISPUT, Februar 2015 – siehe dort S. 11)

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