Draußenhocker

Das Wort gibt es nicht. Ich habe in allen mir zur Verfügung stehenden Wörterbüchern nachgeschaut – und das sind wirklich viele. In Bern soll es nach Google einen Mann geben, der sich abends draußen noch hinhockt, weil es ihm in der Wohnung zu eng ist. Er nennt sich „Draussen-Hocker“. Aber in den Wörterbüchern steht er nicht. Im Gegensatz zum „Stubenhocker“. Der ist nach DUDEN, „jmd., der kaum aus dem Zimmer, aus der Wohnung geht u. sich lieber zu Hause beschäftigt.“ Dafür braucht es natürlich eine Wohnung. Was ist aber, wenn man keine hat, aber doch gerne ein Stubenhocker wäre? Diese Frage beantworten die Wörterbücher nicht. Aber sie geben Auskunft, wie man jene nennen kann, die nun mal draussen hocken – mangels eigenen Wohnraumes.
Es sei vorausgeschickt, für solche Personen gibt es sehr viel mehr Wörter, als für die potentiellen Stubenhocker. Nur die Sprache des Rechts hält hier die Waage. Im Gegensatz zu den „Personen ohne festen Wohnsitz“ spricht man dann von „Personen mit festem Wohnsitz“. Manchmal kommt (meist in Klammern) in Verordnungen und Gesetzen auch noch das Wort „Obdachloser“ vor. Ein Gegenwort gibt es dafür eigentlich nicht. Bei Google findet man unter der Rubrik „was ist das Gegenteil von“ zu „obdachlos“: „bedacht; wohnend; niedergelassen; sesshaft.“ Irgendwie streikt da jedoch mein Sprachgefühl. Ja, ich habe eine Wohnung. Bin ich deshalb „bedacht“? Auf der Behörde möchte ich auf die Frage, ob ich einen festen Wohnsitz habe, nicht unbedingt antworten, „ich bin niedergelassen, bedacht und wohnend, also ein Sesshafter“. Behörden verstehen keinen Spaß. Ich könnte mit der Vermutung eines „Dachschadens“ bedacht werden. Also lassen wir das.
Wie viel mehr Aufmerksamkeit genießen jedoch Obdachlose. Sie sind im „Variantenwörterbuch des Deutschen“ nicht nur wie die „Sesshaften“ verzeichnet, sondern es werden auch – anders als bei den „Sesshaften“ – eine ganze Reihe von möglichen Varianten ihrer Benennung angeführt: „Berber/Berberin, Clochard, Penner/Pennerin, Sandler/Sandllerin, Stadtstreicher/Stadtstreicherin, Tippelbruder, Trebegänger/Trebegängerin, Treber/Treberin, Unterstandslose“. Man staune, politisch korrekt wird hier zunächst nach Möglichkeit sprachlich fixiert, dass Frauen und Männer gleichermaßen (oder muss man sagen gleichgestellt?) obdachlos sein können. Ein ziemlicher Fortschritt. Die „Tippelschwester“ freilich gibt es laut Wörterbuch noch nicht, und beim französischen „Clochard“ weiß man wahrscheinlich nicht um das entsprechende Femininum. Ich kenne es auch nicht. Es sind mir jedoch noch weitere einschlägige Wörter untergekommen, z.B.: „Landstreicher“, „Stromer“, „Tramp“, „Vagabund“. Die geneigten Leserinnen und Leser mögen hier und im Folgenden bei Bedarf bitte die weiblichen Formen mitdenken. Spannend ist sicher die Herkunft der verschiedenen Wörter. „Penner/Pennerin“ leiten sich beispielsweise von der „Penne“ her, einem behelfsmäßigen Nachtquartier. Die Herkunft des Wortes „Trebe“ in „Treber/Treberin“ ist ungeklärt. Manche vermuten ein altes „treife“ dahinter, für „verbotenes Tun“. Zugeordnet wird es in den Wörterbüchern „jugendlichen Herumtreibern“ und allgemein „Vagabunden“. Damit eröffnet sich eine weitere Perspektive. Der einfache (wenn auch meist schwer zu ertragende) Fakt der Obdach- oder Wohnungslosigkeit wird genau genommen nur in der Rechtssprache neutral gesehen. Die große Mehrheit der Benennungen bezieht sich auf ein unterstelltes oder wirkliches unstetes Herumziehen der Betroffenen mit wechselnden Aufenthaltsorten und Schlafgelegenheiten. Hierin liegt für die „bedachten“ Bürgerinnen und Bürger offensichtlich das Hauptmerkmal der Obdachlosigkeit. Das rückt die Sache in die Nähe des Asozialen, gefährlich Unkontrollierbaren. Tatsächlich tauchen auch immer wieder die Wörter „Assi“ oder gar „Zigeuner“ oder „herumzigeunern“ im Umfeld der Obdachlosigkeit auf. Jetzt versteht man „Berber/Berberin“. Es sind die Barbaren, die Fremden. Höchstens in der Phantasiewelt des Films bestaunt man dosiert die ferne Romantik der „Clochards“. „Mein Heim ist meine Burg“, das ist die Regel. In der Burg verschanzen sich Bürgerin und Bürger – vor den Draußenhockern!

(drobs (Die Dresdner Straßenzeitung),11/2013, S. 11)

Ein Gedanke zu „Draußenhocker

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