Von Narren und Narrativen

Es ist sicher schon 15 Jahre her, da fragte mich ein Freund, der damals seine Brötchen als Kommunikationstrainer verdiente, welche Erzählung die PDS eigentlich anbietet. Das mit der „Erzählung“ war ziemlich neu. Es stand, kurz gesagt, für Kritik und Problemlösungsangebote. Dafür hatte man anno dazumal noch Programme, Grundsatzpapiere, Thesen usw. Heute braucht man dafür „Narrative“, also Erzählungen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen, von „narrare“ – erzählen. Kein Text, in dem nicht diese Narrative oder Erzählungen erwähnt werden, die die einen oder die anderen haben oder haben sollten. So weit so gut! Aber was hat es mit „Narren“ zu tun? Wortgeschichtlich hängen die beiden Wörter nicht zusammen. Woher das Wort Narr kommt, weiß man gar nicht genau. Manche leiten es vom spätlateinischen „nario“, der „Nasenrümpfer“ ab, manche meinen, es sei ein schallnachahmendes frühneuhochdeutsches Wort: Im 15. Jahrhundert sagte man für „knurren“ oder „nörgeln“ eben „narren“ oder „nerren“. Artikulatorisch bilden die beiden Wörter durch die gleichen Anlautsilben eine schöne Alliteration, einen Stabreim. Inhaltlich fällt einem vielleicht ein närrischer Nachahmungstrieb bei der gehäuften Verwendung von „Narrativ“ und ein unbedingtes Streben nach Modernität auf. Das macht mir die Sache aber nun nicht nur sprachpflegerisch, sondern auch politisch interessant.
Warum?
Ich frage, welche Narrative haben eigentlich die Politikerinnen und -politiker der AfD anzubieten und wie närrisch ist es ihnen zu folgen? Herr Höcke von der AfD singt das Warnlied vor dem drohenden Verlust einer ethnischen deutschen Zukunft: das Narrativ vom Mischvolk. Herr Meuthen bekräftigt das. Er erzählt uns, zu wenig Deutsche zu sehen, wenn er durch unsere Städte geht. Da geht ihm wohl Rasse verloren? Das bedrückt Herrn Gauland. Er beklagt in seiner Erzählung bereits den Verlust von Deutschland, will es uns aber zurückholen. Deshalb bläst er zur Jagd; zur Jagd auf die angeblich Schuldigen an diesem Verlust. Das ist zugleich ein schönes Beispiel für die Produktivität deutschen Volksliedgutes bei ihrem Übergang in die Politik: „Fuchs Du hast die Gans gestohlen …“ Knapp vor dem Übergang in heitere Stimmung ob solch närrischer Parallelität bleibt mir aber das schon aufkommende Lachen im Hals stecken. „Mischvolk“, „zu wenig Deutsche“, „Deutschland zurückholen“? Wo nehmen die das her? Wo führt das hin? Es gibt ein Buch, das heißt „Mein Kampf“. Der Autor war Adolf Hitler. Auch dieses Buch handelt von der Jagd, von der Jagd auf Fremdvölkisches und Fremdrassiges. Ein Herr Göring hatte dieses Buch gelesen, und als er Preußischer Innenminister wurde, teilte er dem Volk in einem Propagandafilm mit: „Die Städte müssen wieder gesäubert werden von ihren volks- und rassetrennenden Erscheinungen, die durch ihre zersetzende Tätigkeit deutsche Sitten untergraben.“ Herr Göring folgte nur der Stimme seines Herrn. Hitler schrieb im Nachwort von „Mein Kampf“: „Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muss eines Tages zum Herrn der Erde werden.“ Nun, Herren der Erde wollen die von der AfD (noch) nicht werden. Sie begnügen sich vorderhand mit Deutschland. So zum Beispiel auch das Mitglied der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Frau Wilke: „Damit wir nicht zu Fremden im eigenen Haus werden – holen wir uns unser Land zurück …“ (Blaue Post, Nr. 10, Seite 4). Sie treibt die Sache weiter: „Solange ich die Rechte eines anderen nicht verletze, kann mich niemand zur Toleranz verpflichten. Mehr noch, jeder hat das Recht zu diskriminieren, also Unterschiede zu machen.“ (ebenda) Hallo, das vergewaltigt aber die deutsche Sprache, und nicht nur diese: Die Bedeutung des Fremdwortes „diskriminieren“ beinhaltet „herabwürdigen“. Unvollständig übersetzt, um Dumme zu fangen und böse Absicht zu verbergen? Es gibt noch ein Narrativ, nämlich dass nicht alle Nazis seien, die die AfD gewählt haben. Das wird wohl stimmen. Dass sie aber offensichtlich Wegbereiter zurück zu den Nazis gewählt haben, könnte eine gefährliche Narretei gewesen sein.

(Geschrieben für Links, November 2017, 10.10.2017)

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