Aufmerksame Leserinnen und Leser meiner Kolumnen werden sich erinnern, einen ähnlichen Titel gab es schon mal. „Zweieinhalbtausend Jahre – und nichts geändert“ hieß es 2013 in der Novembernummer von „Links“. Es ging damals um die hinterhältig-schmeichelhafte Rede des römischen Konsuls Mennenius Agrippa, mit der er die sich verweigernden Plebejer zur Sicherung römischer Herrschaft wieder nach Rom zurück lockte. Sie waren auf den Heiligen Berg ausgewandert. Das alles hatte für mich große Ähnlichkeit mit Bemühungen verschiedener Parteien im Bundestagswahlkampf, die Einheit aller Deutschen zwecks Sicherung und Ausbau deutscher Stärke zu beschwören.
Heute setzen wir etwa 500 Jahre später an. Um die Zeitwende hatte das Römische Reich bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. Gut 500 Jahre zuvor hatte man das Königtum durch eine geniale republikanische Staatsform abgelöst. Alle Ämter durften nur für ein Jahr bekleidet werden und waren doppelt besetzt, bis in die Staatsspitze. An der standen zwei Konsuln. Nur in Krisenzeiten, bei Krieg, innerem Aufruhr oder für bestimmte protokollarische Pflichten, wurde für eine begrenzte Zeit (maximal 6 Monate, oft aber auch nur für Stunden oder Tage) eine Einzelperson als Diktator ernannt. Das funktionierte lange ganz gut, wurde der Republik aber schließlich doch zum Verhängnis. Lassen wir alles zuvor Passierte im Schoße der Geschichte ruhen und kommen wir ins Jahr 44 vor unserer Zeit. Nachdem Gaius Julius Caesar eine Reihe von Kriegen und Machtkämpfen geführt und gewonnen hatte, wurde er schließlich auf sein Betreiben hin vom Senat zum „dictator perpetuus“, zum „Diktator auf Lebenszeit“ ernannt. Seiner Macht entledigte man sich wieder – durch Mord. Seinem Nachfolger Augustus konnte man nicht mehr entkommen. Er erfand das „Prinzipat“ und wurde im Jahr 27 vor der Zeitwende von einem hilflosen und willfährigen Senat mit Sondervollmachten ausgestattet, die pro forma immer wieder erneuert wurden, aber de facto für immer galten. Damit waren die Grundlagen des Römischen Kaiserreiches gelegt, das gut 600 Jahre andauern sollte.
Wem jetzt noch immer nicht der Franzose Emmanuel Macron oder der Österreicher Sebastian Kurz eingefallen ist, dem und der ist nicht zu helfen. Ich will es dennoch versuchen. Übrigens kann man auch noch den polnischen Präsidenten Jaroslaw Kaczynski oder den ungarischen Premier Victor Orban in der Reihe nennen. Sie ist damit längst nicht komplett. Die Wege dieser Männer waren und sind verschieden, das angestrebte Ende ähnelt aber immer dem der römischen Geschichte. Bei Macron und Kurz ist es nicht gleich ein Ende für ihr Land, aber zumindest für ihre Parteien. Macron ließ sich vom Volk die Vollmacht geben, Erster im Staate zu sein. Das ist gelungen. Danach erst hat er eine Partei gegründet, in der er alle Vollmachten hat und die ihm den endgültigen Sieg, den Sieg bei den Parlamentswahlen geben soll. Er bestimmt allein die Regierung und allein die Kandidatinnen und Kandidaten zur Parlamentswahl. Der zornige junge Mann Kurz ging umgekehrt vor. Er bemächtigte sich zuerst der altehrwürdigen Österreichischen Volkspartei und stellte ihr sieben Bedingungen, deren Erfüllung ihm das alleinige Sagen in der Partei gibt. Der Putsch war erfolgreich. Die Parteigranden gaben klein bei wie einst der Römische Senat bei Caesar und Augustus. So ausgestattet will er nun die nach seinem Willen vorgezogenen Nationalratswahlen im Herbst gewinnen. Es ist überhaupt nicht abwegig anzunehmen, dass Macron und Kurz, wenn ihnen ihre Vorhaben glücken, den Staat nicht anders regieren werden als ihre Parteien – autokratisch. Ich will keine platten Vergleiche anstellen, doch wehret möglichen Anfängen. Ähnlich begann das Verhängnis in der Zwischenkriegszeit in Italien und Deutschland. Ein Sieg bei Wahlen brachte Männer an die Macht, die die Diktatur wollten und schließlich auch durchsetzten. Zeus entführte einst die schöne Frau Europa. Was Europa jetzt bleibt ist die Hoffnung, dass jene Frauen, die von den Herren zwar umgarnt, aber letztlich auch nur auf streng quotierte Listen „entführt“ wurden, sich wehren und so mögliche schlimme Vorhaben der „starken Männer“ verhindern könnten.
(Geschrieben für „Links“ Juni 2017, 21.05.2017)
Zweitausend Jahre – und nichts geändert
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